Jingle Mails als Schrecken für die US-Banken
3 Millionen Häuser stehen in den USA leer – den Schaden haben die Banken
Kann ein Hausbesitzer in den USA seine Hypotheken nicht mehr bezahlen, steckt er den Hausschlüssel in ein Couvert und schickt ihn an seine Bank. Das Problem hat sich für ihn erledigt, das Risiko liegt nun ganz bei der Bank. Jingle Mails, die klingelnde Post, ist für die Banken ein Problem. Wegen der Finanzkrise stehen gegenwärtig 3 Millionen Häuser leer. ...
NZZ Online:
Aus den USA erreichen uns Bilder ganzer Quartiere, deren Häuser verlassen worden sind. Was ist der Grund für diese Häuserflucht?
Otto Waser: Diese leeren Häuser stehen vor der Zwangsversteigerung und sind zurück an die Banken gefallen. Tatsächlich sind die Zahlen enorm. Zum heutigen Zeitpunkt sind fast 3 Millionen Häuser in den USA davon betroffen. Hochgerechnet auf die letzten zwölf Monate standen im Schnitt 2,5 Millionen Häuser vor einer Zwangsversteigerung.
Weshalb so viele?
Wegen der Finanzkrise, aber auch wegen der Art und Weise, wie der Immobilienmarkt in den USA funktioniert. Der Grossteil dieser Häuser steht leer, weil die Banken ihre Hypothekarzinsen erhöht haben. Allerdings, in den USA gehört die Massnahme der Zwangsversteigerung zum Alltag. Noch vor zwei Jahren, also vor der Subprime-Krise, lag die Zahl der wegen einer Zwangsversteigerung leerstehenden Häuser immerhin bei einer Million. Zum Vergleich: Total gibt es in den USA rund 110 Millionen Häuser.
Warum gehören Zwangsversteigerungen in den USA zum Alltag?
Wenn eine Bank einen Hypothekarkredit vergibt, erhält sie als einzige Sicherheit das Haus des Schuldners. Das ist alles. In der Schweiz hat die Bank ebenfalls das Haus als Sicherheit, wenn aber der Schuldner die Hypothek eines Tages nicht mehr bezahlen kann, können die Banken auch auf die Person des Schuldners zurückgreifen. Das ist in den Vereinigten Staaten nicht möglich.
Wie läuft das im Detail ab?
Nehmen wir an, ein Amerikaner hat vor einigen Jahren ein Haus gekauft , dass er sich eigentlich nicht leisten kann. Doch hat ihm seine Bank den Kredit für 0.8 Prozent Zins gegeben. Jetzt, wo die Banken wegen ihren Problemen die Hypothekarzinsen angehoben haben, kann er es sich definitiv nicht mehr leisten. Nun schreibt er seinem Finanzhaus einen Brief, erklärt, dass er das Haus nicht mehr will, legt den Hausschlüssel in das Couvert und bringt den Brief auf die Post. Damit ist für ihn das Problem erledigt.
Das heisst, 3 Millionen Leute haben ihre Hypothekarzinsen nicht bezahlt, jetzt haben sie einfach den Hausschlüssel an die Bank geschickt und damit hat sich die Sache erledigt?
Ja, das Ganze hat sogar einen Namen – Jingle Mail, von Jingle Bells - die Post, die klingelt, wenn sie bei den Banken ankommt. Die Häuser gehören jetzt den Banken, aber mehr kriegen sie nicht. Aber nicht alle säumigen Schuldner haben natürlich von sich aus gehandelt, bei vielen haben auch die Banken die Zwangsvollstreckung eingeleitet.
«Wenn jemand aus seinem Haus auszieht, heisst das nicht unbedingt, dass er mittellos geworden ist»
Betroffen sind wohl nur Menschen, die über wenig Besitztümer verfügen?
Meist sind schon ärmere Amerikaner und Randgruppen betroffen, aber nicht einmal das muss sein. Es ist sogar möglich, dass ein Hausbesitzer eine Million Dollar auf einem Konto hat. Das nützt der Bank gar nichts, sie kann ja darauf keinerlei Rückgriff nehmen. Das ist entscheidend – wenn jemand aus seinem Haus auszieht, heisst das nicht unbedingt, dass er mittellos geworden ist, es kann auch heissen, dass er das Haus nicht mehr will.
Heute stehen 3 Millionen Häuser leer, geht das noch weiter?
Ja, das ist ein Prozess, der weitergeht. Der Grund sind die Häuserpreise. Bereits sind diese um 15 bis 20 Prozent gesunken, das wird anhalten. Der nächste Schritt könnte dann so aussehen. Ein Hausbesitzer hat für ein Haus 200’000 Dollar bezahlt, 180'000 Dollar davon hat ihm die Bank gegeben. Später hat sich der Hauswert auf 300’000 Dollar erhöht, weshalb der Besitzer seine Hypothek um 100‘000 Dollar erhöhen konnte. Heute ist der Häuserpreis wieder auf 200’000 Dollar gesunken. Verkaufte der Hausbesitzer sein Haus jetzt, verlöre er 80'000 Dollar – die Differenz zwischen der Hypothek und dem heutigen Hauswert. Da ist es doch viel billiger, wenn er den Schlüssel an die Bank schickt und wegzieht.
Gibt es Schätzungen, wie viele Häuser in den USA wegen der Subprime-Krise schlussendlich leer stehen werden?
Es gibt Extremschätzungen, die gehen davon aus, dass bis 10 Millionen Hausbesitzer einen Anreiz hätten, diesen Weg zu wählen. Ganz sicher werden das sehr viele nicht tun, aber vom System her ist der Anreiz da.
Die Hausbesitzer kommen also gut weg?
Ja und das ist das Interessante an der Immobilienkrise. Die Banken und deren Aktionäre bezahlen einen mindestens so grossen Preis wie der Konsument, beziehungsweise der Hauseigentümer. Dass der Konsument in den USA bisher nicht so stark von Subprime getroffen wurde, hatte auch einen mildernden Einfluss auf die Auswirkungen der ganzen Finanzkrise.
Sind die Schweizer Grossbanken auch direkt von dieser Entwicklung betroffen?
Indirekt über die massiven Abschreiber von Hypotheken-Wertschriften ganz massiv, aber im eigentlichen Hypothekargeschäft sind die UBS und die Credit Suisse in den USA wenig exponiert. Es gibt aber andere europäische Banken wie die Royal Bank of Scotland oder BNP Paribas, die in den USA das Kreditgeschäft betreiben. Doch ist es kein wesentlicher Teil des Geschäfts.
«Jetzt zeigt das System seine Schwäche»
Wie gehen die betroffenen Banken in den USA mit dieser Situation um?
Sie richten sich darauf ein, so ist einfach das System. Die meisten Banken können mit dem System umgehen und in normalen Zeiten haben sie damit auch kein grosses Problem. Doch haben wir jetzt keine normalen Zeiten – der gegenwärtige Rückgang der Häuserpreise ist immerhin der grösste seit der Grossen Depression in den dreissiger Jahren im letzten Jahrhundert – und das System zeigt seine Schwäche.
Welche Auswirkungen wird diese Entwicklung haben?
Viele der einstigen Hauseigentümer gehen jetzt Mietverträge ein. Bereits haben die Mietpreise in den USA angezogen.
Die Banken, die jetzt auf den leeren Häusern sitzen, könnten diese doch einfach vermieten?
Die Vermietung von Häusern ist einfach kein Bankgeschäft. Die Banken wollen saubere Bücher haben. Sie wollen die Häuser verkaufen, manchmal ist es ihnen fast egal zu welchem Preis, Hauptsache weg.
Die Schwäche des Systems könnte auch eine weitere Regulierung zur Folge haben?
Ja, die Gefahr besteht. Man wird politisch intensiv diskutieren und wohl auch wissenschaftlich aufarbeiten, ob die Rahmenbedingungen richtig sind . Zu fürchten ist ein kurzsichtiger politischer Aktivismus, ähnlich wie damals beim Sarbanes-Oxley-Act, dem Corporate-Governance-Gesetz, das wenig bringt und hohe Kosten verursacht.
Dennoch, eine gewisse Regulierung fänden Sie gut?
Es bleibt zu hoffen, dass einzelne institutionelle Regeln geändert werden, die nicht optimal sind. So die Art und Weise, wie die Hypothekarkredite gesichert sind und die einseitige Belastung der Banken. Denn das fördert auch das Entstehen solcher Immobilien-Blasen.
Wie lange dauert die Krise noch?
Wir schätzen, dass es noch zwei Jahre dauert, bis sich der ganze Kreditzyklus durch das System durchgearbeitet hat, sprich, bis sich der ganze Schaden wegen der Krise gezeigt hat. Zum einen sinken die Häuserpreise weiter, gleichzeitig verschlechtert sich die Beschäftigungslage und das bei rekordhohen Ölpreisen. Das dem Privaten nicht mehr so viel Geld zur Verfügung steht, wird die Anspannung im Immobiliensektor aufrecht erhalten. Dieser Zyklus ist überhaupt noch nicht ausgestanden!
Zur Person:
Otto Waser ist einer von drei Partnern und der Chefökonom der R & A Group. Diese bietet Investment Research gegen Bezahlung. Trends und Prognosen werden auf Quartalsbasis ausgewertet, daraus abgeleitet folgen Anlagestrategien und Aktienportefeuilles, die mittels eigenem Ansatz zusammengestellt werden. Einen kleinen Kreis von Bekannten wird klassische Vermögensverwaltung angeboten. Waser, ein diplomierter Volkswirtschafter, arbeitete nach Studienabschluss bei JP Morgan im Vermögensmanagement und im Handel. Zwischen 1993 und 2000 war er als Leiter des Investmentresearch, als Chefstratege und als Chefökonom bei Bank Julius Bär tätig. Danach folgte ein Jahr bei der PBS Privat Bank Schweiz als Chefökonom und Mitglied der Geschäftsleitung. 2001 machte sich Waser mit der R & A Group selbständig